Freunde diesseits und jenseits des Ural

Am 16. Januar 1991 wurde ein neues Kapitel in der Geschichte des Landkreises Landshut aufgeschlagen, wie es bis zu diesem Zeitpunkt noch kein vergleichbares gegeben hatte: Der damalige Landrat Ludwig Meyer unterzeichnete zusammen mit Anatolij Tschastikin, dem Hauptadministrator des Rayons Nowosibirsk, eine Urkunde, die eine Partnerschaft zwischen dem Landkreis Landshut und dem Rayon Nowosibirsk begründete, die zum einen bis zum heutigen Tag Bestand hat und zum anderen in vielfältigen Facetten bei den Menschen angekommen ist.

Dabei war man am Anfang durchaus skeptisch, ob sich eine Beziehung über 6000 Kilometer Entfernung oder acht Flugstunden hinweg aufrechterhalten lässt. Nach 25 Jahren lebendiger Partnerschaft wird diese Frage von allen Beteiligten mit einem begeisterten „Ja“ beantwortet – diesseits und jenseits des Ural. Schüler, Studenten und Lehrer, Feuerwehrleute und Musiker, Ärzte und Archäologen, Mandatsträger und „einfache Bürger“ – jedes Jahr reisen Gruppen von Deutschen und Russen aus dem niederbayerischen und dem sibirischen Landkreis in die Partnerregion: Lehrer aus dem Rayon Nowosibirsk lernen verschiedene Schulen und Schularten bei mehrwöchigen Aufenthalten im Landkreis Landshut kennen.

Studenten und Dozenten

Studenten der Sibirischen Akademie für Verwaltung – die  hervorragend Deutsch sprechen – absolvieren Praktika am Landratsamt Landshut. Mitarbeiter des Landratsamts und von Gemeindeverwaltungen fliegen nach Nowosibirsk, um an der dortigen Verwaltungsakademie als Gastdozenten Kenntnisse und vor allem auch Alltagserfahrungen aus der kommunalen Selbstverwaltung zu vermitteln. In Sibirien ist, wie russische Gäste versichern, der Name „Landkreis Landshut“ mittlerweile zu so etwas wie einem Synonym für eine erneuerte und gefestigte Völkerfreundschaft zwischen Deutschen und Russen geworden.

Motor und Rückgrat der niederbayerisch-sibirischen Partnerschaft ist der aktive Freundeskreis Landkreis Landshut–Rayon Nowosibirsk.

Dabei hat alles mit Torf angefangen. Das Unternehmer-Ehepaar Hans und Inge Maier aus der Gemeinde Bodenkirchen musste aufgrund geänderter Umweltauflagen nach Ersatz für sein Torfabbaugebiet am Chiemsee suchen.

Am Rande eines CSU-Parteitages in München lernte Hans Maier einen stellvertretenden Bürgermeister aus Moskau kennen, der ihm im Beisein des Landwirtschaftsministers versprach, sich um seine Belange zu kümmern, schließlich gebe es in Russland jede Menge Torf.

Im Mai 1989 fand eine erste Reise nach Nowosibirsk statt. Im Juli 1989 besuchte eine hochrangige Delegation den Landkreis Landshut, sodass der erste Kontakt hergestellt war. Und bereits im Dezember 1989 flog eine Delegation aus dem Landkreis Landshut, der auch der damalige bayerische Staatssekretär Herbert Huber und Landrat Ludwig Meyer angehörten, nach Nowosibirsk.

Auch der damalige Bürgermeister der Gemeinde Bodenkirchen, Helmut Wimmer, war in der Delegation mit dabei und lernte den Agrarprofessor Reginald Zielke kennen, der die Partnerschaft über viele Jahre aktiv begleiten sollte.  Zielke war ein Russland-Deutscher und der Leiter des Lehrstuhls für Pflanzenzüchtung und Genetik der Staatlichen Agrar-Universität Nowosibirsk, der von der Berliner Humboldt-Universität die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen hat.

Bei diesem Besuch wurde erstmals der Wunsch nach einer Partnerschaft zwischen Nowosibirsk und Bodenkirchen geäußert. Aufgrund der nicht passenden Größenverhältnisse (1,5 Millionen Einwohner in Nowosibirsk gegenüber 5000 Einwohnern in Bodenkirchen) wurde dies jedoch abgelehnt.

Gründung des Freundeskreises

Bei weiteren Begegnungen wurde der Wunsch nach einer Partnerschaft immer intensiver und gipfelte im September 1990 darin, dass der stellvertretende Landrat Josef Seidl ein Protokoll über eine Partnerschaftsabsicht zwischen dem Landkreis Landshut und dem Rayon Nowosibirsk unterzeichnen sollte. Noch im gleichen Jahr gab es einen ­Kreistagsbeschluss zur Gründung der Partnerschaft. Im Kreistag begründete Ludwig Meyer die Entscheidung damit: „Nach den Schrecken der beiden Weltkriege und nach 45 Jahren kaltem Krieg kann man diese ausgestreckte Hand nicht ausschlagen“.

Danach folgten vielfältige Aktionen, um die Partnerschaft mit Leben zu füllen. So wurde 1990 ein  Hilfstransport für ­Nowosibirsk organisiert. Drei Lastzüge voll mit Lebensmitteln, Babynahrung und Kleidung machten sich auf den Weg. Ein Lastwagen mit sibirischem Lärchenholz kämpfte sich  bis in den Landkreis Landshut durch. 1996 wurde erstmals ein Waisenhaus in Kriwodanowko ­unterstützt, ein Jahr später kam zum ersten Mal eine Schulklasse aus Nowosibirsk nach Bodenkirchen.

Zur Unterstützung der Partnerschaft wurde 1997 der Verein „Freundeskreis Landkreis Landshut – Rayon Nowosibirsk“ gegründet. Er koordinierte die unterschiedlichen Projekte, organisierte Reisen nach Nowosibirsk und kümmerte sich um die Delegationen, die aus ­Sibirien kamen.

Praktika für Lehrer und Ärzte

Ein Projekt, das durch Schulamtsdirektor a.D. Maximilian Sailer zustande kam, ist das Lehrerpraktikum. Lehrer aus Nowosibirsk, die deutsch sprechen können, kommen in Landkreisschulen, um hier das bayerische Schulsystem kennenzulernen. Ein Röntgengerät und eine große Röntgenanlage wurden an Dr. Ortwin Bergen geschickt, den Chefarzt in ­Krasnoobsk, der die Partnerschaft ebenfalls seit ­vielen Jahren begleitet.

50 aussortierte Betten kamen dazu. Ärzten aus Krasnoobsk wurde ein Praktikum in den Krankenhäusern des Landkreises ermöglicht. Ein weiteres Projekt ist die Zusammenarbeit mit der Akademie für öffentliche Verwaltung. Hier hat der Verein bereits zahlreichen Studenten Praktika in den Gemeinden des Landkreises ermöglicht.

Beamte und Trachtenvereine

Im Jahr 2001 machten sich die beiden Verwaltungsbeamten Klaus Hoffmeister (Verwaltungsgemeinschaft Gerzen) und Thomas Schratzenstaller (Verwaltungsgemeinschaft Velden) auf den Weg nach Nowosibirsk, um an der Akademie zu unterrichten. Ein Jahr später reisten Manfred Leib (Landratsamt Landshut) und Georg Fuchs (Stadt Rottenburg) zu Vorträgen an die SibAGS (Sibirische Verwaltungs-Akademie). Nach mehreren gegenseitigen Besuchen kam es zur Gründung einer Schulpartnerschaft zwischen der Mittelschule Gerzen und dem Gymnasium Nr. 3 in Akademgorodok.

Im Jahr 2007 wurde die Zusammenarbeit einer Tanzgruppe aus Nowosibirsk mit der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) der Jugend der Trachtenvereine Landshut angestoßen. So kamen im Laufe der Jahre viele große und kleine Projekte dazu und sorgen dafür, dass die Partnerschaft trotz der großen räumlichen Entfernung weiter am Leben ist – und wie!

Harald Schwarz